Gedanken und Informationen zum Olivenöl
Naturprodukt – Industrieprodukt
Frisches und hochwertiges Olivenöl wird im Italienischen immer wieder als „spremuta di olive“ bezeichnet. Fast alle Italienreisenden verbinden mit dem Begriff „spremuta“, den frischgepressten Saft, meistens aus Orangen, der in vielen Bars angeboten wird. Wenn gerade Saison ist und ganz frische Orangen ausgepresst werden, wird jedem der probiert, ein erstaunlicher Unterschied zum normalen Orangensaft im Tetrapak aus dem Supermarkt auffallen. Die Intensität des fruchtig-saueren und viel weniger süßen Geschmacks hat kaum etwas mit dem gewohnten Industrieprodukt zu tun.
„Spremuta“ heißt wörtlich einfach „Saft“, aber die Konnotation des „frisch gepressten“ ist so stark, dass Wörterbücher dies tatsächlich in Klammern dazuschreiben. Die Unterscheidung zwischen Fruchtsaft, dem „succo di frutta“ (den es auch im deutschen Supermarkt zu kaufen gibt) und der „spremuta“ ist im italienischen Sprachgebrauch sehr klar.
Wenn hier also von der „spremuta di olive“ gesprochen wird, soll ein klarer Unterschied – nicht selten ein echter Gegensatz – zum gewöhnlichen Speisefett auf pflanzlicher Basis gezogen werden, das man oftmals in deutschen Supermärkten als „wertvolles Olivenöl“ erhält.
In langen Jahrzehnten wurde in den Ländern, in denen keine eigene Olivenölproduktion möglich ist, Öl verkauft, das im Grunde keinem der Qualitätsstandards genügt, über die extra natives Olivenöl eigentlich definiert wird.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Italien viele Jahre lang weltweit der Hauptimporteur von Olivenöl und gleichzeitig der Hauptexporteur war. Wissend um den besonderen Ruf der italienischen, insbesondere der toskanischen Öle, wurde vom multinationalen Großhandel auf sehr fragwürdige Weise großer Profit erzielt. Hauptsächlich Olivenöle von minderer Qualität wurden zur Abfüllung nach Italien gebracht. Dabei wurden Öle aus dem ganzen Mittelmeerraum, die längst nicht den eigentlichen Qualitätskriterien guten Olivenöls entsprechen, munter gemischt, mit italienischen Ölen verschnitten, industriell aufbereitet und verändert und dann mit verklärender, oftmals sogar falscher Etikettierung in den Handel gebracht. Die Öle, an die sich Nordeuropäer in Jahrzehnten gewöhnt haben, vermeintlich gesunde und besondere Lebensmittel, hatten in der Folge mit der „spremuta di olive“ kaum noch etwas zu tun. Ein wenige Euro teures Olivenöl aus dem Großhandel hat mit einem echten, extra nativen Olivenöl soviel gemein wie eine Fanta-Limonade mit frisch gepresstem Orangensaft. Der kleine Aufsatz hier will auf keinen Fall Absolutheitsanspruch für sich erheben. Ab und an eine Orangen-Zucker-Limonade schmeckt sicher fast jedem. Und wer sie konsumiert, in dem Bewusstsein ein sehr stark zuckerhaltiges, chemisch extrem verändertes Industrieprodukt zu sich zu nehmen, wird kaum je auf die Idee kommen, ausschließlich Fanta zu trinken um sich damit etwas Gutes zu tun.
Die billigen Olivenöle, die der Großhandel jahrzehntelang angeboten hat sind im Übrigen natürlich viel weniger schädlich als es beispielsweise die extrem zuckerhaltigen Softdrinks sind. Auch ist die verzehrte Menge Olivenöl, im Vergleich zu Softdrinks, immer sehr gering. Es gibt also keine gesundheitlichen Bedenken, die man gegen minderwertige Öle vorbringen könnte. Aber die gibt es grundsätzlich bei Palmöl oder bei Margarine auch nicht.
Kaum jemand wird aber – wie bei letztgenannten Produkten üblich – Olivenöl erwerben in der Absicht ein bisschen Pflanzenfett als Füllmasse zur Verfügung zu haben. Die Überlegung, Olivenöl zu konsumieren, hat fast immer mit dem Wunsch zu tun, sich ein besonderes und besonders gesundes Lebensmittel zu leisten.
Und weil der Großhandel glauben machte und immer noch macht, es handele sich bei den vielen billigen Ölen durchweg um hochwertiges Olivenöl, mit all seinen außergewöhnlichen und gesundheitsförderlichen Eigenschaften, kommt man wohl nicht umhin, von unlauterem Verhalten zu sprechen.
Herstellung
In den letzten Jahrzehnten haben sich im Olivenanbau und der Olivenölproduktion grundlegende Änderungen vollzogen. Zunehmend exakte und eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse haben den ganzen Produktionsprozess verändert. Viele traditionelle Methoden wurden erneuert, manche ganz abgeschafft. Früher wurde von den meist als echte Selbstversorger lebenden Bauern, die zudem oft noch in verschiedenen Formen institutionalisierter Knechtschaft gefangen waren, mit vollkommen anderer Zielsetzung produziert; man musste irgendwie im Rahmen der kargen Möglichkeiten satt werden. Hohe Qualitätsstandards gab es nicht. Dies nicht so zu benennen, wäre eine unzulässige, romantische Verklärung, der Herkunft vieler traditioneller Produktionsmethoden. Früher wurden Ölbäume auch als Holz- und Einstreulieferanten genutzt, als langlebige und trockenheitsresistente Böschungsbefestigung, sowie Erosionsschutz. Dies nur unter anderem. Nicht selten war die Aufgabe als Schattenspender für die Landarbeiter und die, im Schattenbereich angepflanzten Kulturen, eine wichtigere Nutzung eines Olivenbaum als seine Rolle als Öllieferant. Heute ist die Herstellung hochwertiger Öle in aller Regel die hauptsächliche Nutzung eines Ölbaums, dementsprechend legt man andere Kriterien an die Bewirtschaftung an. Natürlich ist auch zu erwähnen, dass die technischen Möglichkeiten zur Bearbeitung, die wir heute haben, ungleich besser sind als früher. Unsere traditionsstiftenden Vorgänger in der Landwirtschaft hätten also mit Sicherheit auch anders gewirtschaftet, wenn sie es denn gekonnt hätten. Ich will also in keiner Weise traditionelle Methoden abwerten, sondern diese vielmehr einordnen.
Bei der Herstellung eines guten Öls versucht man heute beispielsweise den genau richtigen Zeitpunkt der Ernte zu erwischen, das heißt, die geernteten Oliven sind nicht überreif und fallen auch noch nicht von selbst oder bei ganz leichter Berührung ab, sondern werden auf unterschiedliche Weise mechanisch abgestreift. Dabei wird vor allem darauf geachtet, die Oliven so wenig wie möglich zu verletzen. Sobald die Schale der Olivenfrucht und das Fruchtfleisch durch Druckeinwirkung durchlässig geworden sind, beginnt der Oxidationsprozess. Jeder kennt diesen Vorgang von einem aufgeschnittenen Apfel, dessen Schnittflächen sich wegen des Luftsauerstoffs bräunlich verfärben. Im Zuge dieser Oxidation werden viele chemische Eigenschaften verändert. Neben der vorsichtigen Handhabung spielt auch die Zeit bei der sofort einsetzenden Oxidation eine wichtige Rolle. Geerntete Oliven müssen so schnell wie möglich in die Presse kommen. Ideal wäre (wir schaffen das im Moment noch nicht) jeden Abend sofort zu pressen. Die Ernte so zu organisieren ist natürlich aufwändig und erfordert viel Aufmerksamkeit. Früher wurden heruntergefallene Oliven oftmals wochenlang auf den ausgebreiteten Netzen liegen gelassen. Wenn dann die restlichen Oliven abgeerntet wurden, war die jeweilige Ladung, die in die Presse kam meist durchsetzt mit halbfaulen Früchten, die später den Geschmack des Öls sehr stark beeinflussten. Gleichzeitig ist der prozentuale Ölanteil in diesen überreifen Oliven sehr hoch, so dass nicht nur die Ernte insgesamt erheblich weniger Aufwand bedeutete, sondern auch die Ausbeute mengenmäßig oftmals besser war als bei intakten, zum richtigen Zeitpunkt geernteten Oliven. Man konnte es früher einfach nicht besser machen, da, wie schon weiter oben beschrieben, das Olivenöl in der traditionellen Landwirtschaft eine sehr untergeordnete Rolle spielte und die vielen technischen Möglichkeiten, die wir heute haben, früher nicht zur Verfügung standen. Es ist dementsprechend keine Polemik zu sagen, dass man vor hundert Jahren, das, was wir heute als gutes Olivenöl bezeichnen, im Grunde nicht kannte. An dieser Stelle ist also die traditionelle Landwirtschaft zu recht als überholt zu betrachten. Gerade in geländemäßig schwierigen Hügellagen aber, die mit schwerem Gerät und durchweg mechanisierter Bearbeitung nicht zu bewirtschaften sind, wurde viel Tradition in der Bearbeitung bewahrt. Ohne sehr viel Handarbeit, also dem Einsatz von „leichtem Gerät“ wären diese Lagen nicht zu bewirtschaften. Zumal viele der alten Bäume, die es in den meisten kleinen traditionellen Olivenhainen noch gibt, durch ihren Wuchs völlig ungeeignet zur rein mechanischen Bearbeitung sind. In diesen Lagen, im Speziellen spreche ich vom toskanischen Hügelland, wo sich unser kleiner Betrieb befindet, ist es völlig unmöglich, eine auf Masse ausgelegte Erzeugung zu betreiben. Nur eine rigoros auf Qualität ausgelegte Erzeugung, mit allen einhergehenden Mehrkosten, kann versuchen, sich auf dem Markt zu behaupten.
In vielen anderen Erzeugerländern und auch mancherorts in Italien wird wenig Wert auf die Qualität des Öls gelegt. Der Großhandel kauft immer, wenn nur der Preis stimmt. Entweder wird also in extrem intensiver Landwirtschaft, oftmals mit hohem Einsatz an Produkten aus chemischer Synthese – Dünger und Pflanzenschutz – ohne Rücksicht auf ökologische und soziale Kosten Massenproduktion betrieben, oder es wird mit vermeintlich traditionellen Methoden billiges Öl erzeugt.
Moderne Ölerzeuger versuchen heute einen Mittelweg zu finden zwischen einer wirtschaftlich sinnvollen Mechanisierung und modernem Pflanzenschutz und -düngung, die beide sowohl ertragsteigernd als auch möglichst schonend für die Umwelt sein sollen und traditionelleren Methoden. Gerade im sich immer weiter ausbreitenden, biologischen Landbau begegnen uns viele traditionelle Techniken und Methoden in moderner Form.
In traditionellen Steinmühlen und Bastmatten-Pressen konnte nur sehr wenig Wert auf Hygiene und den Schutz vor Oxidation gelegt werden. Oft wurden die geernteten Oliven viele Tage lang in den Mühlen in aufeinander gestapelten Säcken gelagert. Dabei wurden die Oliven stark gequetscht und oxidierten immer weiter. Nicht selten setzten auch andere Prozesse wie Pilzbefall und bakterielle Zersetzung ein. Diese Art der Verarbeitung mag viele folkloristische Vorstellungen bedienen und eine heile authentische Welt evozieren, ein gutes Öl lässt sich auf diese Art leider nicht herstellen.
Moderne Ölmühlen verarbeiten die angelieferten Oliven meist innerhalb eines Tages. Die kurzfristige Lagerung nach der Annahme erfolgt immer in aufeinander gestapelten großen Kisten aus Hartplastik, so dass die Oliven nicht durch ihr eigenes Gewicht zerdrückt werden. Sobald die Oliven gemahlen sind, findet der gesamte Produktionsvorgang effektiv unter Luftausschluss statt. Die ganze Anlage besteht an allen Stellen, die Kontakt mit den Oliven haben, ausschließlich aus nicht rostenden Materialien. Die hygienischen Standards, wie beispielsweise auch in unserer Mühle in Donoratico, die Teil der Landwirtschaftlichen Kooperative Terre dell’Etruria ist, sind äußerst streng. Am Ende des Extraktionsvorgangs liegt ein Öl-Wasser-Gemisch vor. Man könnte diese sogenannte Emulsion einfach stehen lassen und nach und nach würden sich zwei getrennte Phasen bilden und das Öl würde auf dem Wasser schwimmen. Um den Vorgang zu beschleunigen wird aber zentrifugiert. Dabei wird streng darauf geachtet, wie schon den ganzen Produktionsprozess über, dass die entstehende Wärme nicht 27°C übersteigt, so entsteht das sogenannte mechanisch kaltgepresste Öl.
Viele Öle, die der Großhandel vertreibt, sind völlig anders entstanden. Der unmissverständlich kriminelle Bereich ist beim Olivenöl leider sehr groß. In den letzten Jahren wurden sehr viele dieser betrügerischen Abläufe aufgedeckt. Oftmals wurde einfach falsch etikettiert. Zum Beispiel wurde regelmäßig mit etwas Olivenöl verschnittenes Sonnenblumenöl als „Extra Vergine Öl“ deklariert. Gerne werden auch minderwertige Öle vollständig gefiltert, um Geschmacksdefekte zu beseitigen. Eine weitere Methode um Geschmacksdefekte zu beseitigen ist, das Öl auf viele hundert Grad zu erhitzen. Dann werden Farbstoffe, Duftstoffe und Geschmacksstoffe zugegeben und fertig ist ein neues Olivenöl.
Auch der nicht unmittelbar kriminelle Graubereich ist bei Olivenöl riesig. Wie schon weiter oben erwähnt konnten bis vor kurzem Öle völlig anderer Herkunft, beispielsweise durch das bloße Abfüllen in Italien zu einem „Made in Italy“-Öl werden. Minderwertige Lampantöle, (aus Olivenabfall gewonnene Öle, zum Verzehr eigentlich ungeeignet) dürfen etwa nach Beigabe kleiner Mengen besseren Öls in den Verkauf. Für den Geschmack wird auch hier immer etwas nachgeholfen. Theoretisch müsste so ein Verschnitt kenntlich gemacht werden, in der Regel sind diese Auskünfte aber auf den bunten Etiketten kaum zu entziffern oder gar nicht vorhanden.
Es gab und gibt in diesem Geschäftsfeld noch viele weitere trickreiche Methoden. Ich möchte an dieser Stelle aber nicht weiter ausführen, wer mag, kann sich über diese unerfreuliche Realität selber weitergehend informieren. Es gibt zahlreiche, äußerst ausführliche Dokumentationen dieser Vorgänge.
Je offener also vom Händler, zum Abfüller, zum Ölmüller bis zum Landwirt hin die Produktions- und Lieferkette transparent gemacht wird, desto wahrscheinlicher liegt ein unverfälschtes Öl vor. Als Direktvermarkter möchten wir natürlich an dieser Stelle noch einfügen, dass der Kauf direkt beim Bauern eine sehr gute Möglichkeit bietet, Genaueres über die Herkunft eines Olivenöls zu erfahren. Aber auch da sollte man mit einer gewissen Strenge darauf achten, dass man nicht bäuerlicher Folklore erliegt, sondern dass man ein wirklich gutes Öl erwirbt. Phantasiereiche, unspezifische Aussagen auf Etiketten hingegen sollten unbedingt Verdacht erregen.
Ein absolutes Ausschlusskriterium ist der Preis. Bei weniger als zehn Euro für einen halben Liter italienischen Olivenöls, stimmt garantiert etwas nicht. Diese Faustregel gilt im Grunde immer. Leicht können Preise zwischen 15 und 20 Euro für einen halben Liter zu rechtfertigen sein. Auch noch etwas mehr.
Geschmack und gesundheitsfördernde Eigenschaften
Wie wir gleich sehen werden, kann man die Qualität im Herstellungsprozess auch schmecken.
Das Öl zum richtigen Zeitpunkt geernteter Oliven enthält verschiedenste sekundäre Pflanzenstoffe. Von diesen sind etwa die verschiedenen Polyphenole insbesondere Oleuropein und seine Derivate von hohem Wert für uns Menschen. Oleuropein ist hauptsächlich verantwortlich für den bitteren Geschmack von frischem Olivenöl. Mit zunehmender Reife wird Oleuropein langsam abgebaut. Gänzlich unreife Oliven sind dementsprechend ungenießbar bitter. Bereits Oleuropein weist eine starke antioxidative Wirkung auf. Mit fortschreitender Reife wird also Oleuropein zunehmend abgebaut unter anderem in die Derivate Hydroxytyrosol sowie Tyrosol. Diese haben sogar noch stärkere antioxidative Wirkung. Wenn der richtige Zeitpunkt für die Ernte verpasst wird, sinkt der Gehalt an Polyphenolen wieder. Oleuropein und seine Derivate sind in der Hauptsache wasserlöslich, deshalb kann man Tafeloliven, die in rohem Zustand extrem bitter wären, durch Einlegen in Salzlake, Spülen im Wasser oder durch Kochen in Wasser essbar machen. Trotz der grundsätzlich besseren Wasserlöslichkeit dieser Polyphenole gelangt also ein wenig von diesen in den Ölanteil der Frucht und sorgt für die bittere Note in frischem Olivenöl.
Noch höher ist der Oleuropeingehalt in den Olivenblättern. Eine übermäßig stark ausgeprägte Bitterkeit kann deshalb auch auf zu viele Blätter in der Olivenmaische hinweisen. In unserer Mühle und in anderen modernen Mühlen werden aber die Blätter fast vollständig aussortiert, bevor die Oliven gemahlen werden. Außerdem bemühen sich die Bauern schon vorher möglichst gut vorzusortieren. In besonders heißen und trockenen Jahren ist übrigens der Polyphenolgehalt im Öl meistens etwas höher und damit ist die Bitterkeit etwas stärker akzentuiert. Das Öl von Bäumen, die auf kargeren Böden in Hügellagen stehen, hat in der Regel ebenfalls einen etwas höheren Polyphenolgehalt.
Durch natürlichen Zerfall verlieren sich im Laufe der Zeit die Polyphenole nach und nach. Auch bei sachgerechter Lagerung (kühl, trocken, dunkel) läuft dieser Prozess ab, das Olivenöl wird etwas milder, verliert damit aber auch einen Teil seiner gesundheitsförderlichen Eigenschaften.
Schlechte Öle enthalten kaum Polyphenole und haben deshalb fast nie eine natürliche Bitternote.
Das sogenannte Oleocanthal, eine weitere phenolische Verbindung, die in frischem Olivenöl enthalten ist, hat eine ganz erstaunliche entzündungshemmende Wirkung. In der Wirkungsweise gleicht es beispielsweise Aspirin oder Ibuprofen. Wer schon mal Ibuprofen eingenommen hat, weiß um das kratzige Gefühl, das es im Hals auslöst. Oleocanthal, als natürlich vorkommender Bestandteil von frischem, unbehandeltem Olivenöl sorgt in der gleichen Weise für das Kratzen, das wir beim Verkosten von echtem extra nativem Olivenöl im Hals spüren. Oleocanthal hat in Laborversuchen außerdem selektiv Krebszellen abgetötet, es wirkt schmerzstillend und verringert statistisch nachweisbar das Risiko an Alzheimer zu erkranken. Natürlich ist die Konzentration von Oleocanthal, selbst im besten Olivenöl vergleichsweise sehr gering, höchstens 200mg/kg. Olivenöl wirkt beileibe keine medizinischen Wunder, als integraler Bestandteil der mediterranen Diät trägt es aber sehr wohl auf erstaunliche Weise zu Gesundheit und Wohlbefinden bei.
Oleocanthal ist eine sehr flüchtige Verbindung. Sein Gehalt nimmt selbst bei richtiger Lagerung des Öls im Laufe der Zeit ab.
Minderwertige Öle enthalten kaum oder gar kein Oleocanthal und man spürt deshalb fast nie die beschriebene leichte Kratzigkeit im Hals nach dem Schlucken.
Natives Olivenöl besteht bis zu 80 Prozent aus einfach ungesättigten Fettsäuren. Die häufigste dieser Fettsäuren ist dabei die Oleinsäure oder Ölsäure. Gefolgt von der Palmitinsäure, einer gesättigten Fettsäure, die zwischen 10 und 17 Prozent eines Olivenöls ausmachen kann. Bis zu zehn Prozent des Olivenöls können aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren bestehen, etwa der Linolsäure oder der Linolensäure. In dieser Zusammensetzung ist Olivenöl ein hervorragender Lieferant pflanzlicher Fette für unseren Stoffwechsel. Die ungesättigten pflanzlichen Fettsäuren helfen in gewissem Umfang das Herz-Kreislaufsystem zu stärken und senken auch geringfügig das Risiko bestimmter Krebserkrankungen.
In der Umgangssprache wird der Anteil der freien Fettsäuren, also der nicht an Glycerin gebundenen Fettsäuren, als „Säuregehalt“ des Olivenöls bezeichnet. Dieser Säuregehalt ist wohl der bekannteste Parameter zur Ölklassifizierung. Laut EU-Norm darf er nicht höher als bei 0,8 Prozent liegen, damit sich das Olivenöl als „Extra Natives Olivenöl“ qualifizieren kann. Das halbstaatliche Konsortium zum Schutz und zur Promotion toskanischen Olivenöls hat sogar ein noch strengeres Limit festgelegt für IGP-Öle (Idicazione Geografica Protetta- geschützte Herkunftsbezeichnung), nämlich 0,6 Prozent. Stark oxidierte, lange gelagerte, überreife oder durch Schädlinge befallene Oliven haben aufgrund der stärkeren Oxidationsprozesse meist einen höheren Säuregrad als früher geerntete Oliven, bei denen der Schädlingsbefall kontrolliert wurde und die sofort nach dem möglichst schonenden Ernten weiterverarbeitet wurden. Tatsächlich kann man einen erhöhten Anteil an freien Fettsäuren im Öl nicht als sauer schmecken. Bei einem sehr hohen Anteil an freien Fettsäuren, wird man höchstens einen talgartigen Nachgeschmack empfinden. Toskanische Öle, im speziellen aus höheren Lagen, haben in der Regel einen äußerst niedrigen Säuregehalt, da der Befall durch den Hauptschädling, die Olivenfliege (Dacus Oleae), unabhängig von den unterschiedlichen Pflanzenschutzstrategien weniger ausgeprägt auftritt. Ein reduzierter Schädlingsbefall ist auch in besonders heißen und trockenen Jahren der Fall. Man kann den Schädlingsbefall auch mit der Chemiekeule kleinhalten. In dieser Hinsicht wird mittlerweile allgemein weniger Unsinn getrieben, der gesetzliche Rahmen ist zudem viel strenger geworden, aber lange Zeit war das Prinzip „viel-hilft-viel“ durchaus verbreitet. Wer so arbeitet und dann noch zeitig erntet wird immer einen optimalen Säuregehalt haben, da kaum Oxidation der Oliven stattfinden kann. Mit Sicherheit ist aber so ein „Chemiekeulen-Öl“, vielleicht sogar noch mit nachweisbaren Insektizidrückständen, nicht einem guten biologischen Olivenöl, das minimal höheren Schädlingsbefall zu verzeichnen hatte, vorzuziehen, nur weil der Säuregehalt am Ende etwas niedriger ist. Grundsätzlich gilt beim Säuregehalt zu bedenken, dass die Grenzwerte hoch genug liegen, dass in klimatisch normalen Jahren, jeder vernünftig wirtschaftende Ölbauer diese einhalten kann. Sollte sich also ein Öl aufgrund des hohen Gehalts an freien Fettsäuren nicht für die Bezeichnung „Extra Natives Öl“ qualifizieren können, dann ist mit diesem Öl wirklich etwas nicht in Ordnung. Die Fehler in der Herstellung, die zu einem so hohen Säuregehalt führen, weisen in so einem Fall auf weitere Geschmacksdefizite hin. Innerhalb der etwas strengeren IGP-Grenze von 0,6 Prozent, aber auch innerhalb der EU-Norm-Grenze von 0,8 Prozent, können wir im Grunde immer von guten Ölen ausgehen, was die erlittene Oxidation im Produktionsprozess betrifft. Ein Zehntel Prozent hin oder her wird sich nicht wahrnehmbar auf den Geschmack auswirken. Vielmehr sind es die vielfältigen weiteren Faktoren, die uns tatsächlich zur Unterscheidung von Ölen dienen, die nahe beieinanderliegende Säuregehalte haben.
Nur zum Vergleich: im heißen und trockenen Jahr 2017 hatten wir bei manchen Pressungen einen Säuregehalt von unter 0,2 Prozent. Diese eine Information bedeutet aber längst nicht, dass wir damit das beste Öl der Welt hergestellt haben. Obwohl…….?
Olivenöl enthält außerdem eine große Menge der sogenannten Tocopherole. Diese sind die wichtigsten Vertreter der Gruppenbezeichnung Vitamine E. Die fettlöslichen Tocopherole haben eine äußerst starke antioxidative Wirkung und sind an vielen weiteren Prozessen im Körper beteiligt. Olivenöl enthält auch noch andere Vitamine, namentlich verschiedene Vitamine A, aber nur die Menge an Vitamin E ist außergewöhnlich im Vergleich zu anderen Lebensmitteln. Außerdem enthält Olivenöl auch etliche Mineralien und unter anderem die Spurenelemente Eisen und Zink. Die Menge der Spurenelemente und der Mineralien ist aber nicht überdurchschnittlich hoch im Vergleich zu anderen Lebensmitteln.
Olivenöl enthält große Mengen verschiedener Terpene und auch Mitglieder der Untergruppe der Sesquiterpene. Eines der bekanntesten Terpene im Olivenöl ist das Beta-Carotin, das neben einer intensiven Farbwirkung auch starke antioxidative Eigenschaften hat. Frische grünlichere Öle enthalten übrigens auch Chlorophyll. Terpene wirken insgesamt antibakteriell und duften sehr stark. Sie sind in vielen ätherischen Ölen enthalten und sind in vielfältiger Art und Weise pharmakologisch aktiv. Sie sind beispielsweise in vielen Baumharzen und in den Schalen von Zitrusfrüchten enthalten. Bei der Parfümherstellung spielen sie eine große Rolle. Gemeinsam mit den Sesquiterpenen, bilden sie hunderte verschiedene Duft-und Aromastoffe, die einem frischen und guten Olivenöl eine ungeheuer intensive Fruchtigkeit verleihen. Manchmal assoziiert man beim Beschreiben der Fruchtigkeit von Olivenöl Geschmacks- und Duftnoten, die auf den ersten Blick etwas weit hergeholt wirken mögen, tatsächlich findet sich in einem guten „Olio Extra Vergine“ für fast jeden entdeckten Geschmack und Duft die entsprechende Terpen- oder Sesquiterpenverbindung. Die Duftstoffe, die wir beispielsweise in frischem Gras, in einer Blumenwiese, in aromatischen Kräutern, in Artischocken und anderem Gemüse wahrnehmen, finden wir tatsächlich in gewissen Konzentrationen auch im Olivenöl. Je nach Olivenöl überwiegt die eine oder andere Duftnote. Beim Geschmack sind es Geschmacksnoten wie grüne Tomate, grüner Pfeffer, Salat, Limone, Artischocke, frische Oliven etc. und viele mehr, die nicht extravagante Erfindung des Probanden sind, sondern deren Aromastoffe sich tatsächlich finden lassen. So ist, um ein ganz konkretes Beispiel zu geben, das Aldehyd Hexanal eine der vielfältigen aromawirksamen Verbindungen, die man tatsächlich in ganz frischen Ölen nachgewiesen hat. Hexanal tritt in der Natur auf, wenn bestimmte ungesättigte Fettsäuren durch Oxidation abgebaut werden. Wir können diesen Aldehyd riechen wenn frisches Gras geschnitten wird oder wenn grüne Äpfel zerkleinert werden. Oder eben wenn ungesättigte Fettsäuren eines frischen Olivenöls oxidieren während wir daran riechen. Nach einiger Zeit wird Hexanal in das geruchlose Hexanol umgewandelt. (Deshalb unter anderem die ständigen Hinweise auf die luftdichte Aufbewahrung…) Natürlich erlebt man diesen Duft- Geschmacksreichtum nur wenn man gute und frische Olivenöle verkostet. Der Terpene- und Sesquiterpeneanteil und der Anteil der sonstigen natürlichen Aromastoffe in minderwertigen Ölen ist manchmal chemisch fast nicht mehr nachweisbar. Dem ungeübten Probanden fällt das auf der Geschmacksebene möglicherweise gar nicht auf Anhieb auf, da in jedem Fall etliche Geschmackseindrücke seine Knospen fluten werden, auch bei einem minderwertigen Öl. Der Geruchstest hingegen ist sehr eindeutig. Manche Öle haben fast überhaupt keinen Duft. Diese Öle sind garantiert von absolut minderer Qualität. Wenn ein Öl nicht nur nicht duften sollte, sondern tatsächlich sogar schlecht riechen sollte, z.B. modrig oder ranzig, dann sollte man es tunlichst vermeiden auch noch davon zu kosten. Es würde lange dauern den schlechten Geschmack wieder loszuwerden.
Wie schmeckt ein gutes Öl?
Die EU-Kommission hat auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Olivenöl in der VERORDNUNG (EG) Nr. 640/2008 DER KOMMISSION vom 4. Juli 2008 die drei positiven Attribute des Olivenöls festgelegt. Diese sind wörtlich:
Fruchtig.
Gesamtheit der von der Olivensorte abhängigen, unmittelbar und/oder retronasal wahrgenommenen charakteristischen Geruchsmerkmale eines Öls aus gesunden und frischen, grünen oder reifen Früchten. Das Attribut fruchtig wird durch grün näher charakterisiert, wenn die Geruchsmerkmale an diejenigen von grünen Früchten erinnern, wie sie für Öl aus grünen Früchten kennzeichnend sind.
Bitter.
elementarer Geschmack, der typisch für Öle aus grünen oder in Reifung befindlichen Oliven ist und mit den auf der Zunge V-förmig angeordneten Wallpapillen wahrgenommen wird.
Scharf.
taktil empfundenes Prickeln, das typisch für Öle ist, die zu Beginn des Wirtschaftsjahres hauptsächlich aus noch grünen Oliven gewonnen werden, und in der gesamten Mundhöhle und insbesondere in der Kehle wahrgenommen werden kann.
Diese Eigenschaften können jeweils in den Stufen „leicht“, „mittel“ und “intensiv“ eingeordnet werden. In der Kombination ergeben sich dann durchaus sehr unterschiedliche Öle, die die unterschiedlichsten Geschmäcker ansprechen können.
Auf der anderen Seite gibt es negative Attribute gleich dutzendweise: modrig, schlammig, metallisch, ranzig, brandig, holzig, heuartig, roh, lakig u.v.m. Alle diese Geschmacksdefekte weisen auf spezifische Fehler in der Produktion hin. Ein gutes Olivenöl wird also niemals ölig riechen und nie ganz sanft, fast süßlich wie Butter schmecken. So ein Öl hat nichts mehr von gutem Olivenöl.
Ein gutes „Extra Natives Olivenöl“ wird also im Geschmack immer sehr eigenständig sein und sich nach einiger Übung wirklich unterscheiden lassen von anderen Ölen. Natürlich auch von anderen guten Ölen. Es wird einen intensiven Duft nach grünem Gemüse, nach frisch geschnittenem Gras und ähnlichem haben. Es wird im Geschmack sehr fruchtig sein, es wird an unreifes Obst und grünes Gemüse oder auch an Wildkräuter erinnern. Wenn man lange genug hinterherschmeckt, wird der Geschmack eines guten Öls immer komplexer werden, weil sich immer weitere Geschmacksnoten eröffnen, deren Aromastoffe ja tatsächlich auch im Öl vorhanden sind. Das Öl wird sehr frisch schmecken, eher sogar trocken. Auf keinen Fall wird es ein fettiges Gefühl im Mund hinterlassen. Es wird, zumal wenn es ein ganz frischer Fruchtsaft aus Oliven ist, eine klare Schärfe haben, die im Gaumen und auch etwas im Hals kratzt. Und es wird eine definierte Bitterkeit haben, die wir von Artischocken und anderem Gemüse kennen.
Und es wird sehr gut und gesund sein!